Gedanken zur Zürcher Kulturpolitik

Heute Abend debattiert der Zürcher Gemeinderat über das Kulturleitbild 2016-2019 der Stadt Zürich. In drei Bänden erklären darin Corine Mauch und Peter Haerle ausführlich die Ziele und Mittel(verwendung) städtischer Kulturpolitik. Sehr grob zusammengefasst steht darin: Wir machen weiter wie bisher und geben dem Film etwas mehr Geld. Mich hat das jetzt nicht so überzeugt.

Eigentlich dürfen die Stadtpräsidentin und der Direktor der städtischen Kulturabteilung mich ja zu ihren Verbündeten zählen. Ich finde, Kulturförderung ist sehr wohl eine Aufgabe der öffentlichen Hand – gerade der Gemeinden – so findet zumindest ein Wettbewerb unter den verschiedenen geförderten Sparten statt. (Wenn der Bund Kultur fördert bin ich eher skeptisch – die Gefahr einer nationalen Leitkultur lässt mich erschauern.) Kultur darf zudem etwas kosten und dabei erst noch die Hand beissen, die sie füttert. Die künstlerische Freiheit ist zu verteidigen und Politiker sollten sich aus inhaltlichen Debatten so weit wie irgendwie möglich heraushalten – zumindest in ihrer Funktion als Volksvertreter. Und von mir aus, dürfen sich die städtischen Kulturausgaben auch weiterhin etwa in der bisherigen Höhe bewegen. Trotzdem überzeugt mich das Leitbild nicht.

Zunächst einmal werden die Kulturausgaben unter anderem auch mit Arbeitsplätzen und dem Beitrag zur «wirtschaftlichen Prosperität von Zürich» gerechtfertigt. Das ist gefährlich. Kultur schafft ideelle Mehrwerte, nicht materielle. Wenn der Stadtrat trotzdem wirtschaftlich argumentiert, begibt er sich auf dünnes Eis. «Die von der Stadt subventionierten Kulturinstitutionen tragen rund 212 Mio Fr. zur Bruttowertschöfpfung bei», zitiert er eine Studie der Bank Bär Stifung. Rund 150 Mio davon bestehen allerdings aus dem städtischen Kulturbudget und ginge es um Bruttowertschöpfung könnte man das Geld sicher besser einsetzen.

Problematisch sind m.E. auch diverse skizzierte Handlungsachsen. Zunächst einmal müssen sich die städtischen Kulturverantwortlichen schon die Frage gefallen lassen, weshalb der bedauernswerte Daniel Leupi seinen Stadtratsgspönli immer tiefere Plafonds setzen muss, damit die Finanzen der Stadt im einigermassen im Lot bleiben, die Kulturabteilung ihr Budget aber erhöhen kann. Es kann ja sein, dass man irgendwann zum Schluss kommt, der Film solle mehr Geld bekommen, aber vielleicht müsste man dann den Mut haben, an anderen Stellen weniger auszugeben. Von «Vertiefung und Fokussierung» kann ich auf jeden Fall nichts erkennen. Natürlich ist der Stadtrat ein gebranntes Kind. Da hat er einmal mit dem Strauhof einen mutigen Entscheid gefällt, aber dafür so viel Schelte kassiert, dass ihn der Mut gleich wieder verlassen hat. Schade. Dabei finde ich die Lösung jetzt eigentlich ideal. Das Strauhof existiert weiter, hat eine private Trägerschaft und kostet die Stadt wesentlich weniger als zuvor. Problematisch daran ist nur die Verknüpfung mit dem Jungen Literaturlabor JULL. Es ist wirklich nicht ersichtlich, weshalb die Stadt diese Aufgabe erfinden, übernehmen und finanzieren sollte und es ist zu hoffen, dass der Gemeinderat in der Kultur- und Budgetdebatte dieses Unding abschiesst. Und wenn ich schon bei einzelnen Projekten und Institutionen bin: Ärgerlich ist – neben dem ZiL – auch, dass die Stadt «Künstlerinnen und Künstler und deren Nachkommen für das Thema Nachlässe» sensibilisieren und zu diesem Zweck die Beiträge ans Schweizerische Institut für Kunstwissenschaften erhöhen will. Da bricht der sozialdemokratische Erziehungsanspruch wieder einmal durch, während gleichzeitig mit dem Artdock, der effektive Verwalter von solchen Nachlässen und zur Zeit wohl einer der interessantesten Kulturplätze der Stadt, permanent im Überlebenskampf steckt und kaum Mittel von der Stadt erhält. Dieser Erziehungsanspruch kann man übrigens auch an anderen Stellen städtischer Kulturpolitik entdecken, etwa wenn immer mehr Gelder in Kinderkultur und Kulturvermittlung fliessen.

Skeptisch bin ich auch was die «verstärkte Koordination der Förderpolitiken von Bund, Kanton und Stadt Zürich beziehungsweise jener von Zürich und andern Städten…» angeht. Nicht Koordination, sondern Konkurrenz, also Wettbewerb trägt auch in der Kultur zur gewünschten «Förderung und Forderung von Qualität» bei. Und die Ressourcen, welche die Koordinations- und Kommunikationsanstrengungen zwischen verschiedenen Akteuren der öffentlich Hand verschlingen wird, würde ich lieber direkt der Kultur zugute kommen lassen.

Wirklich zusammengezuckt bin ich allerdings bei der Lektüre des folgenden Abschnitts: «Die Kulturinstitutionen … der Stadt Zürich sollen sich verstärkt bemühen, die Vielfalt der Gesellschaft (Herkunft, Generationen, Bildungshintergrund u.a.) auf allen Ebenen zu reflektieren und abzubilden. Künstlerische Projekte, die sich mit dem Thema und der Teilhabe ihrer Zielgruppen auseinandersetzen werden besonders gefördert.» Wer also ein Stück vom Kulturkuchen haben möchte, sollte jetzt doch schon einmal ein Theaterstück mit einem behinderten, lesbischen Flüchtlingsmädchen und ihrem Grossvater planen. Ernsthaft: Die Vorgabe einer inhaltlichen Richtung mit einer in Aussicht gestellter Belohnung ist für mich der Sündenfall schlechthin im Leitbild.

Aber meine Hauptkritik des Zürcher Kulturleitbilds betrifft gar nicht so sehr, das, was da drin steht, sondern das, was fehlt.

Dabei gäbe es doch diverse grosse Fragen zu beantworten. Beispielsweise: Soll die Stadt überhaupt eigene kulturelle Angebote produzieren? Zugegebenermassen stehen schon heute hinter den meisten kulturellen Angeboten private Institutionen und wenn im Stadthaus die besten Maturarbeiten ausgestellt werden, braucht es dazu auch keine grossen externen Dienstleisungen. Aber weshalb müssen beispielsweise das Museums Rietberg eine städtische Dienstabteilung und die Leitung des Theaterspektakels städtische Angestellte sein? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Beide Institutionen zählen zu meinen persönlichen Favoriten, die ich nicht missen möchte und ich will ihnen auch nicht die Mittel kürzen, aber eine strauhofähnliche Lösung könnte ich mir durchaus vorstellen.

Eine weitere Frage, die weder gestellt noch beantwortet wird, ist, ob es sinnvoller sei Projekte oder Künstler zu unterstützen. Persönlich ziehe ich letzteres vor. Die Unterstützung von Künstlern als Personen sichert eine grössere künstlerische Freiheit als die Unterstützung von Projekten – mit der Gefahr, dass nicht alles, was produziert wird, gefällt, aber mit dem unschätzbaren Vorteil, keine Anreize für das Schaffen von vergabefreundlichen Projekten zu schaffen.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, weshalb ein Kommissionsmodell sinnvoller sein soll als ein Intendantenmodell? Kunst ist nicht demokratisch, sondern diktatorisch. Ich würde gerne Werke sehen, die nicht aufgrund eines Kommissionskompromiss zustande gekommen sind, sondern dem Geschmack Einzelner entspringen. Nicht zu unrecht heisst es ja: Ein Kamel ist ein Pferd, das von einer Kommission geschaffen wurde. Von mir aus könnte man sogar einen (kleinen) Teil der Gelder per Losentscheid vergeben. Der Zufall muss nicht schlechter entscheiden als eine Kommission.

Und – an dieser Stelle herzliche Grüsse an Philipp Meier – natürlich fehlen fast komplett Gedanken zu digitaler und/oder Klub-Kultur (und das Zurich Game Festival ist nicht die Antwort darauf!)

Ob diese Themen heute während der grossen Kulturdebatte zur Sprache kommen werden, weiss ich nicht. Es ist zu hoffen. Zu befürchten hingegen ist, dass die Debatte und die anschliessenden Weisungen in Erbsenzählermanier abgearbeitet werden. Ohne Plan und Strategie werden einzelnen Kennzahlen, besonders beliebt sind etwas Kosten pro Teilnehmer/Besucher/Zuschauer oder Eigenfinanzierungsgrad, zur Rechtfertigung von zustimmenden oder ablehnenden Haltungen herangezogen. Dabei ist klar: Je kommerzieller ein Angebot, desto besser die Zahlen. Man kürzt dann (vielleicht) den Beitrag an das Theater Winkelwiese um 125’000 Franken auf 595’000 Franken, obwohl das Winkelwiese als Autorentheater ziemlich alleine in der städtischen Theaterlandschaft steht und natürlich eine ganz andere (Kosten)struktur hat als beispielsweise das Theater Stock, das primär Infrastruktur ist. Hingegen kümmert man sich kaum um die Schnittmenge von Theater Neumarkt (jährlicher Beitrag 4,6 Mio Fr.) und dem Schauspielhaus (38 Mio Fr.).

Und als Gipfel der Weisheit wird dann auch noch die 10%-Kürzungsmöglichkeit bei einem städtischen Bilanzfehlbetrag gefeiert. Das ist ja im Grundsatz nicht falsch, aber die Stadt retten, wird das auch nicht.

Aufgrund wechselnder Mehrheiten und fehlender Strategien werden heute Abend schliesslich wohl die meisten Ausgaben nach mehr oder weniger langen Diskussionen durch gewunken. Damit kann ich eigentlich ganz gut leben, aber trotzdem wäre es wünschenswert, wenn sich die Stadt (und die Parteien!) für das nächste Leitbild auch ein paar grundsätzlichen Gedanken machen würden.

 

 

 

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