Grundsatzrede an kantonaler MV vom 19. April 2012
Liebe Grünliberale
Ich danke dem kantonalen Vorstand, dass wir diese Frage hier und heute an einer Mitgliederversammlung besprechen und eine entsprechende Parole fassen können.
Ich werde in meinen Ausführungen zuerst erläutern:
- Was die Initiante will;
- weshalb die Initiative aus grünliberaler Perspektive zu befürworten ist;
- und zum Schluss möchte ich noch auf die wichtigsten Gegenargumente eingehen.
Doch bevor ich das tue, erlaube ich mir noch ein paar Worte über mich und meine Familie zu verlieren, damit Ihr das, was ich sage, auch einordnen könnt: Ich bin Vizepräsident der glp im Stadtzürcher Kreis 1 & 2, Mitglied des städtischen Vorstands und seit 2010 Gemeinderat in der Stadt Zürich. Ich bin seit 18 Jahren glücklich verheiratet und habe drei Kinder. Aber ob diese Initiative angenommen wird oder nicht, spielt für mich als Vater überhaupt keine Rolle, an der Schulsituation unserer Kinder würde sich nichts ändern. Für mich als Bürger hingegen spielt es eine Rolle, ob diese Initiative angenommen wird oder nicht.
Was will die Initiative?
Und damit wären wir beim ersten Punkt meiner Ausführungen, nämlich dem Anliegen der Initianten.
Die Initianten wollen den Artikel 14 der Kantonsverfassung um einen dritten Absatz ergänzen. Unter dem Titel Recht auf Bildung lautet der Artikel 14 der Zürcher Verfassung heute wie folgt:
Absatz 1:
Das Recht auf Bildung ist gewährleistet.
Absatz 2:
Es umfasst auch den gleichberechtigten Zugang zu den Bildungseinrichtungen.
Neu käme nach dem Willen der Initianten ein dritter Absatz hinzu und der würde wie folgt lauten:
«Der gleichberechtigte Zugang beinhaltet ab dem 4. Schuljahr die freie Wahl innerhalb der öffentlichen Schulen und eine öffentliche Finanzierung des Unterrichts an bewilligten Freien Schulen gemäss den Durchschnittskosten der öffentlichen Schulen, wenn sie wie diese allgemein zugänglich sind.»
Mit anderen Worten ist die freie Schulwahl so wie sie gefordert wird, noch längst keine freie Schulwahl.
Für den Kindergarten und die 1. bis 3. Klasse ändert sich nichts. Ab der 4. Klasse dann ist die Schulwahl frei innerhalb der öffentlichen Schulen. Und unter so genannten «Freien Schulen». Diese Schulen, und das ist das eine wesentliche Kriterium, sind verpflichtet, nach Möglichkeit alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler aufzunehmen.
Genauso wie das heute bei den Kantonsschulen der Fall ist. Auch die Kantonsschulen sind grundsätzlich verpflichtet alle Schülerinnen und Schüler aufzunehmen.
Es kann jedoch vorkommen, dass die Wünsche Einzelner nicht berücksichtigt werden können. Auch das ist bei den Kantonsschulen schon heute so. Wenn das der Fall ist, dann sind aber Kapazitätsgründe ausschlaggebend und nicht Leistungs- oder Ideologiegründe – das ist ganz wesentlich. Bei zu vielen Anmeldungen würden gemäss dem Vorschlag der Initianten übrigens folgende Kriterien bei der Wahl ausschlaggebend sein: Geschwisterkinder, Wohnortsnähe, Kinder von Angestellten der Schule und dann das Los.
Die freien Schulen erhielten dann pro Schüler oder Schülerin eine Pauschale, die den Durchschnittskosten an den entsprechenden Staatsschulen entspricht. Und ganz wichtig: Die freien Schulen dürfen nicht Gewinn orientiert arbeiten.
Wenn wir diese Restriktionen betrachten, dann kann von einer wirklichen freien Schulwahl natürlich keine Rede mehr sein und der heute vorliegende Vorschlag ist von den weitergehenden Forderungen, wie sie ursprünglich im Raum standen und teilweise in anderen Kantonen bereits zur Abstimmung gelangten, weit entfernt.
Die vorliegende Initiative ist also eher eine Minimal- als eine Maximalforderung, die sich an politischen Realitäten und nicht an liberalen Maximen orientiert.
Das ist sicher vernünftig und damit bin ich beim zweiten Teil meiner Überlegungen angelangt:
Weshalb diese Initiative zu befürworten ist.
Dass wir liberale Werte vertreten, dürfte wohl unbestritten sein. Was aber heisst das?
Zunächst einmal ist die Freiheit nicht ein Wert unter vielen, sondern die Quelle und Vorbedingung für die meisten moralischen Werte. Unsere Gesellschaft, ja unsere Zivilisation ist nicht das Resultat eines menschlichen Plans, sondern das Resultat eines Wettbewerbs der Ideen, des Fortschritts. Und wenn wir weiter fortschreiten wollen, müssen wir Raum lassen für eine fortwährende Revision unserer gegenwärtigen Vorstellungen und Ideale. Wenn das nicht möglich wäre, gäbe es auch uns Grünliberale nicht. Auch unsere Partei ist nichts anderes als ein Resultat dieses Fortschritts und neuer Ideen. Und ich stelle mit Freude fest, dass wir uns im Wettbewerb der Ideen bisher recht gut behauptet haben.
Ich weiss auch, dass nicht jeder Fortschritt eine Verbesserung darstellt, aber als Vertreterinnen und Vertreter der Freiheit unterscheiden wir uns von anderen eben dadurch, dass wir uns selbst nicht als allwissend betrachten, sondern den Glauben daran haben, dass die Zeit und nicht wir oder eine Behörde, die besten und mehrheitsfähigsten Ideen herauskristallisieren wird.
Das ist aber nur möglich, wenn andere die Freiheit haben, ihre Ideen zu verwirklichen. Die Freiheit, die uns hilft und die wir verteidigen, ist eben nicht primär unsere eigene Freiheit, sondern die Freiheit der anderen. Die persönliche Freiheit ist deshalb vergleichbar mit einer unbeschränkten Autohaftpflicht. Eine solche Versicherung schützt nicht in erster Linie den Fahrer oder die Fahrerin, sondern die Betroffenen vor den finanziellen Folgen eines Unfalls.
Nochmals: Falls diese Initiative angenommen wird, und offen gesagt habe ich meine Zweifel, dass dies eintreffen wird, sind wir immer noch weit von einer freien Schulwahl entfernt, aber wir öffnen die Türe der Bildungslandschaft ein klein wenig, in der Hoffnung, dass die eine oder andere gute Idee hineinschlüpfen und sich irgendwann durchsetzen wird.
Nach diesen eher allgemeinen Überlegungen hier noch die konkreten Vorteile, welche sich die Initianten bei einer Annahme, meines Erachtens zu Recht, erhoffen:
1. Befürnisgerechtere Schule
Kinder sind verschieden. Und Gleiches für Ungleiche, das wussten schon die alten Griechen, führt nicht zu Gleichem, sondern zu Ungleichem. Die Vorstellung also, dass alle, wenn sie nur die gleiche, zentral gesteuerte Volksschule durchlaufen haben, die Schule mit demselben Rucksack und Chancen verlassen, ist schlicht falsch. Wie sonst lässt sich der von der GLP mitgetragene Vorstoss erklären, schwache Schüler vom Schulfranzösisch zu befreien. Die freie Schulwahl würde unterschiedliche Konzepte ermöglichen und so die Chancen eröhen, dass Kinder ein Lernumfeld finden, das zu ihnen passt.
2. Mehr Chancengerechtigkeit
Wir haben heute, gerade in Städten, ein Zweiklassengesellschaft. Wohlhabende, gut ausgebildete Menschen wohnen konzentriert in den entsprechenden Quartieren, wo die Schulen ein hohes Niveau und einen geringen Ausländeranteil aufweisen. Oder sie schicken ihre Kinder in Privatschulen. Dagegen habe ich nicht einmal etwas einzuwenden. Man kann nicht dauernd, gerade von Menschen mit Migrationshintergrund, ein höheres Engagement und Mitwirkung der Eltern bei der Ausbildung und Erziehung der Kinder fordern und dann die, die das – auch unter Einsatz finanzieller Mittel tun – verteufeln. Was allerdings stossend ist, ist dass Familien mit geringeren Einkommen diese Möglichkeit nicht haben. Die vielgepriesene Chancengerechtigkeit ist leider nur ein Mythos. In der Schweiz schliessen rund 3% der Migrantenkinder mit einem höheren Schulabschluss ab, in Holland, mit freier Schulwahl, sind es rund 15%.
3. Stärkung der Erziehungsverantwortung der Eltern
Wir singen gern und oft das Lied der Selbsverantwortung. Zu Recht, denn Verantwortung ist der Preis der Freiheit. Und so dürfen wir wählen: Unseren Arzt, unseren Partner, unsere Religion, unseren Beruf, unsere Gesinnung. Vier Mal jährlich stimmen wir ab, teilweise über komplexe Fragen. All das wird uns zugemutet, aber nicht die Wahl der Schule für unsere Kinder? Wenn wir es wirklich erst meinen mit der Selbstverantwortung, dann sollten wir sie den Menschen auch zumuten und mit der Bevormundung der Eltern aufhören.
Ein Wort zu den Finanzen: Die Gegner behaupten die Initiative würde Kosten in der Höhe von 64 Millionen Franken bescheren. Das stimmt ganz sicher nicht. Die Annahme, auf der diese Zahl basiert, ist schlicht falsch. Der RR ging davon aus, künftig alle Privatschulen finanzieren zu müssen. Das ist nicht richtig, weil zahlreiche Privatschulen lieber ihre Unabhängigkeit behalten.
Die Befürworter hingegen rechnen mit Einsparungen in Millionenhöhe. Sie gehen davon aus, dass die freie Schulwahl helfen wird, die Bildungsbürokratie, die ja auch uns ein Dorn im Auge ist, abzubauen. Vor allem würde dank einer freieren Schulwahl deutlich weniger Therapien benötigt, denn oft würde ein Schulwechsel bereits ausreichen, aber der ist heute de facto ein Ding der Unmöglichkeit. Die Kosten für Sonderpädagogische Massnahmen im Kanton Zürich betragen jährlich etwa eine halbe Milliarde Franken, wenn also hier nur ein kleiner Teil gespart werden könnte, wären die 64 Millionen, auch wenn die Zahl zu hoch ist, längst wieder drin.
Wie so oft stehen sich also auch in diesem Abstimmungskampf diametral unterschiedliche Zahlen gegenüber. Wenn wir nun aufgrund unserer Erfahrung davon ausgehen können, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, dann dürfen wir damit rechnen, dass sich das Ganze im Rahmen hält. Und selbst, wenn etwas kosten würde, würden diese Kosten eben primär in die Schulen und nicht in die Bürokratie fliessen.
Zu den Argumenten, die alle Befürworter teilen noch ein Argument in eigener Sache: Die GLP hat sich in verschiedenen Kantonen und Gemeinden für die Einführung von Betreuungsgutscheinen für die Kinderbetreuung stark gemacht. Die Argumente tönten dabei wie folgt:
In der Stadt Bern:
«Die glp bevorzugt das Gutschein-System, weil es den Eltern die Wahlfreiheit belässt, weil es Angebot und Qualität der Kinderbetreuung durch die Stimulierung eines gesunden Wettbewerbs fördert, weil es Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft schaffen hilft und weil es die Stadtfinanzen weniger stark belastet…
PM der GLP Winterthur:
«Der Grosse Gemeinderat von Winterthur hat am 28. März 2011 die Motion Betreuungsgutscheine der Grünliberalen in Zusammenarbeit mit FDP, SP und Grünen überwiesen. Die Einführung des marktwirtschaftlichen Systems führt zu einem grösseren und vielfältigeren Angebot an Krippen, zur Abschaffung der Wartelisten und zur Reduktion des administrativen Aufwands.»
Auch im Gemeinderat der Stadt Zürich haben wir kürzlich, leider in der Minderheit, aufgrund der obigen Argumente für Betreuungsgutscheine gestimmt.
Es ist mir schlicht unbegreiflich, wie man die freie Wahl für die Kleinsten fordern kann, sie bei den Grossen, sprich den Kantischülern, für selbstverständlich betrachtet und sie nur den Kindern zwischendrin nicht gönnen mag.
Im Kanton St.Gallen hat die GLP zur freien Schulwahl übrigens wie folgt argumentiert: (JA zur Initiative «freie Schulwahl auf der Oberstufe»):
«Die glp ist überzeugt, dass mit der Annahme der Initiative die Bildungsvielfalt und die Elternrechte gestärkt werden. Zudem sollen nicht nur Kinder von privilegierten Familien ihre Schule wählen können.»
Ein Ja zu dieser Initiative wäre also nicht anderes als konsistent mit unserem bisherigen politischen Verhalten und vor allem auch mit unseren Wertvorstellungen.
Lasst mich noch auf drei gängige Argumente der Gegner eingehen.
Immer wieder wird, gerade auch aus ökologischen Kreisen die Befürchtung geäussert, die freie Schulwahl führe zu mehr Strassenverkehr.
Zugegebenermassen teile ich diese Befürchtung bis zu einem gewissen Grad. Aber wenn wir uns als GLP für die freie Wahl bei den Krippen einsetzen, wo kein Kind ohne Mami oder Papi hinkommt, dass können wir die freie Wahl ja den Viertklässerinnen und Viertklässern schlecht verwehren, umso mehr als ihnen die Benutzung des ÖV zuzutrauen ist. Weiter sehe ich heute die täglichen Autokolonnen in meiner unmittelbaren Nachbarschaft, da an der Seestrasse im Kreis 2, drei Privatschulen bestehen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass die eine oder andere Familie liebend gerne auf die Fahrt verzichten und eine Schule in ihrer Umgebung wählen würde, wenn sie die Wahl frei wäre. Und drittens möchte ich betonen, dass auch ich sehr wohl für eine Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs eintrete, aber dieses Ziel sollten wir via Verkehrspolitik und nicht via Schulpolitik erreichen.
Weiter wird behauptet, die Eltern seien nicht in der Lage, die richtigen Schulen zu wählen oder Schulen gäben zuviel Geld für Werbung aus.
Wer das sagt, zeigt vor allem, dass er nicht liberal denkt. Natürlich wird es auch Eltern geben, die schwer nachvollziehbare oder falsche Entscheide treffen, aber liebe Grünliberale, Freiheit beinhaltet eben auch die Freiheit Fehler zu machen. Und dann sei an dieser Stelle noch die Frage erlaubt, welche Schulen denn diese Eltern besucht haben, in der sie nicht zu urteilsfähigen, mündigen Bürgern gebildet worden sind? Solche Schulen sollten schleunigst durch bessere Schulen ersetzt werden! Und was die Werbung angeht, sei noch einmal daran erinnert, dass die Schulen nicht gewinnorientiert arbeiten dürfen und ich deshalb Vertrauen in die Verantwortlichen haben, dass sie mit ihren Mitteln haushälterisch umgehen. Abgesehen davon, dürfen sie m.E. ruhig ein Teil für die Kommunikation verwenden, darin kann ich nichts Schlechtes erkennen, denn dank dieser Information können Eltern besser entscheiden.
Ebenfalls wird behauptet, dass die Wahl in kleineren, ländlichen Gemeinden nicht möglich ist, ja gar die Gefahr der Schliessung von kleinen Dorfschulen droht.
Ich bin in Stadel im Zürcher Unterland aufgewachsen. Dort gab es auch nur einen Arzt, aber trotzdem kommt niemand auf die Idee, die freie Arztwahl einzuschränken. Und die freie Schulwahl wird es eben gerade initiativen Eltern ermöglichen, von der Schliessung bedrohte Volksschulen als Verein oder Stiftung in Eigenverantwortung fortzuführen.
(Bemerkung, nicht Teil der Rede: Die Ironie der Geschichte: Am folgenden Tag berichtete der Tagi über die Nein-Parolen der beiden liberalen Kräfte, GLP und FDP. U.a. war die Gefahr für Dorfschulen ein Hauptargument der Gegner. In der gleichen Tagi-Ausgabe wurde dann noch über die Schliessung der Volksschule Sternenberg berichtet…)
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass mein Einsatz für eine freiere Schulwahl nicht in erster Linie als Kritik der bestehenden Schulen gelten, sondern die Möglichkeit von Fortschritt schaffen soll.
Ich kann verstehen, wenn sich gerade die Vertreterinnen und Vertreter der Volksschule mit dieser Initiative persönlich angegriffen fühlen. Kein Wunder sind unsere prominentesten Gegner Lehrer. Ich möchte sie beruhigen. Ich selbst habe die Volksschule im Kanton Zürich besucht und fand’s im grossen Ganzen prima. Und ich gebe auch gerne zu, dass die Volksschule seit ihrer Gründung Wesentliches zum Land Schweiz beigetragen hat. Es war sicher ein grosser Schritt, als man damals die Bildung der Kirche entrissen und für alle ermöglicht hat. Ganz im liberalen Sinne hat man die Schule ja dann auch nicht direkt dem Staat übergeben, sondern in eigenständigen Schulgemeinden organisiert. Diese Schulgemeinden sind nun am Verschwinden, die Einheitsgemeinde setzt sich durch. Die Volksschule krankt heute einerseits an den zunehmenden Forderungen der Politiker, wobei jede Forderung dann immer für alle gilt. Und an der zunehmenden Bildungsbürokratie und dem immer wachsenden Therapiegürtel.
So wie die Schule damals dem Klerus entrissen wurde, so sollten wir sie heute der Bürokratie entreissen.
Aus all diesen Gründen hoffe ich sehr, dass Ihr Euch für diese Initiative aussprechen werdet.
Herzlichen Dank für Eure Aufmerksamkeit.