Apropos Privatsphären

Natürlich kann das Wort „Privatsphäre“ im Plural verwendet werden. Ich habe meine Privatsphäre und Sie haben Ihre – das wären dann schon zwei. Aber die Frage, die sich hier stellt, ist folgende: Kann ein einzelner Mensch verschiedene Privatsphären haben?

Wenn ich mit Nein antworte, werden mir wohl die wenigsten widersprechen. Jeder Mensch hat seine eigene und einzige Privatsphäre. Und die ist bedroht und schützenswert. Die Privatsphäre ist ein derart hohes Rechtsgut, dass sie zurecht ihren eigenen Verfassungsartikel (Art. 13) erhalten hat.

Ich will deshalb gar nicht weiter über den Wert, die Bedeutung und die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre sinnieren, sondern setze sie als gegeben voraus.

Interessanter wird die ganze Fragestellung, wenn man sich aus den allgemeinen Höhen der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in die konkreten Niederungen der Tagespolitik begibt. Die eine und einzige Privatsphäre wird dort unten derart unterschiedlich interpretiert, dass in der Tat der Eindruck entstehen kann, dass verschiedene Privatsphären existieren.

Ein paar konkrete Beispiele: Bei der letzten Stadtratswahl in Zürich waren zwei von drei Kandidaten bereit, ihre Steuerdaten offen zu legen. Der Dritte, der sich, meines Erachtens zurecht oder zumindest berechtigt, dagegen wehrte, musste dafür einiges an Schelte von Medien und politischen Gegnern einstecken. Aber offenbar hat die Debatte darüber den Genossen Lust auf mehr gemacht und so fordern sie nun ein öffentlich zugängliches Steuerregister. Begründet wird dieser Vorstoss u.a. mit einer transparenten Verwaltungsführung (das ist eigentlich ein interessanter Aspekt, denn im Gegensatz zu Privaten, hat die öffentliche Hand eigentlich nur ein sehr eingeschränktes Recht auf „Privatsphäre“, doch in diesem Fall ginge es nicht um die Verwaltungsführung, sondern um die Daten von Privaten). Überhaupt: Geht’s ums Geld, so zumindest der erste Eindruck, gerät die Privatsphäre vor allem von links unter Druck. Automatischer Informationsaustausch gefällig? Ja gern. Abschaffung Bankkundengeheimnis? Nur zu. Wer verdient was? Das öffentliche Interesse überwiegt.

Aber es lassen sich durchaus Beispiele dafür finden, dass auch die Rechte, wenn’s ums Geld geht, gerne das öffentliche Interesse oder die Sicherheit über die Privatsphäre stellt. Es war eine FDP-Frau, welche in Egerkingen einige Gemeindemitglieder an den Steuerpranger stellte und dafür auch noch viel Applaus erhielt. Zwei Gemeinderäte der gleichen Partei forderten in Zürich, dass Mitglieder des Gemeinderats, offen zu legen haben, ob sie in einer staatlich subventionierten Wohnform leben. Und der SVP-Gemeindeammann von Oberwil-Lieli hatte in der Vergangenheit mehrmals gedroht, den Namen eines jungen und wenig kooperativen Sozialhilfebezügers zu publizieren.“Das ist etwas anderes“, höre ich sie schon sagen – ich finde nicht.

Überhaupt ist der Pranger ein beliebtes Mittel geworden. Vorzugsweise als Fahndungsmittel im Zusammenhang mit Ausschreitungen. Allerdings handelt es sich um ein Fahndungsmittel mit pönalem Charakter. Das Problematische daran ist die Unabschätzbarkeit der Wirkung. Einmal publizierte Bilder können für ewig im Internet herumgeistern und auch dann noch Folgen für die Betroffenen haben, wenn sie ihre normale Strafe für ihr Vergehen erhalten haben (oder noch schlimmer: unschuldig sind!). Das widerspricht fundamentalen Rechtsgrundsätzen, beispielsweise dass eine Strafe verhältnismässig zu sein hat und irgendwann verbüsst ist. Internetpranger ist eine lebenslängliche Strafe.

Und dann gibt es noch die Eingriffe in die Privatsphäre, die aufgrund eines Profilings präventive Wirkung entfalten sollten. Erst kürzlich hat der Nationalrat einen Vorstoss des CVP-Parteipräsidenten, der zur Bekämpfung der Kriminalität DNA-Tests für bestimmte Asylbewerber verlangt, überwiesen (vorwiegend mit Stimmen der SVP, CVP und BDP). Immerhin gelang es in Zürich (dank der GLP) die unsägliche Polizeidatenbank Gamma wieder zu versenken.

Damit zum aktuellen Beispiel und Mitauslöser dieses Beitrags: Richard Wolffs Söhne sollen in besetzten Liegenschaften wohnen. Bei dieser Ausgangslage ist natürlich klar, wer für „Transparenz“ und wer für „Privatsphäre“ eintritt – die Rollenverteilung ist nun umgekehrt zur Steuerfrage im Wahlkampf, was natürlich einer gewissen Ironie nicht entbehrt (auch wenn die Angriffe auf die Privatsphäre eigentlich nicht zum Lachen sind). Falls die Information korrekt ist, finde ich übrigens, dass es in der Tat eine heikle Situation wäre, wenn die Stadtpolizei eine besetzte Liegenschaft räumen müsste, in der sich die Söhne des Departmentsvorstehers befinden. Das ist für die Ausübung dieses Amts relevanter als Steuerdaten. Nichtsdestotrotz wäre es falsch, aus diesen Überlegungen den Schluss zu ziehen, Richard Wolff hätte die Öffentlichkeit vorgängig über das Leben seiner mündigen Kinder informieren müssen. Abgesehen davon, dass die Problematik meines Erachtens verhältnismässig einfach gelöst werden kann, indem Richard Wolff in diesem Geschäft einfach in den Ausstand tritt, stelle man sich nur vor, was ein solcher Grundsatz für Konsequenzen hätte. Nicht nur wäre uns die Häme des Bürokoratiemonsters sicher, schlimmer noch, es führte zur Umkehrung der Unschuldsvermutung. Man gälte nicht mehr als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist, nein, man wäre schuldig, bis man seine Unschuld bewiesen hat (was in sehr vielen Fällen ein Ding der Unmöglichkeit ist). Das führt dann konsequenterweise auch dazu, dass nicht mehr alles erlaubt ist, was nicht verboten ist, sondern, dass grundsätzlich verboten ist, was nicht explizit erlaubt ist.

Schauder.

Ich will im politischen Kontext eigentlich nicht einfach als Nein-Sager gelten, aber in diesem Fall bin ich gerne ein Nein-Sager. Ich sage u.a. Nein

  • zu öffentlichen Steuerregister;
  • zu polizeilichen Präventionsdatenbanken;
  • zur Aufhebung des Bankkundengeheimnis;
  • zum automatischen Informationsaustausch;
  • zu DNA-Proben auf Vorrat;
  • zur Verwendung biometrischer Passdaten zur Strafverfolgung;
  • zur Offenlegung von privaten Wohnformen;
  • zum neuen Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF);
  • zur flächendeckenden Überwachung ganzer Quartiere.

Aber ich sage ja zur Privatsphäre und ihrem Schutz.

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