Den freiheitsliebenden Bürgern empfehlen sich zur Zeit gar viele Parteien als wahre Vertreterinnen des Liberalismus. Intensiv wird darüber diskutiert, wer sich mit dem Attribut «liberal» schmücken dürfe.
Interessant an der Debatte ist zunächst einmal der Zeitpunkt. Es ist noch nicht so lange her, da stritten sich FDP und SVP in erster Linie über den Begriff «bürgerlich». Die SVP behauptete, sie sei die einzige bürgerliche Partei und die FDP gehöre ins Lager der Linken und Netten. Nachdem die grünliberale Partei auf dem politischen Parkett erschienen ist und Erfolge feiern durfte, verschob sich die Diskussion hin zum Begriff «liberal». Es liegt mir fern zu behaupten, dass wir der einzige Grund dafür waren, aber wir haben sicher dazu beigetragen.
Die Auseinandersetzung mit dem Begriff ist erfreulich, denn den Liberalismus gibt es gar nicht. Selbstverständlich bestehen Grundsätze: Was nur ein Individuum betrifft, sei ihm selbst überlassen; wenn eine Gemeinschaft betroffen ist, darf sie für alle gültige Regeln festlegen und durchsetzen. So weit, so gut. Aber wo in praktischen Angelegenheiten nun diese Grenze zu ziehen sei, ist eine Frage, die sich oft nicht so einfach beantworten lässt. Ebenfalls ein Thema, das nie restlos geklärt sein wird, sondern kontinuierlich diskutiert werden muss, ist die Frage nach der persönlichen Verantwortung. Für die meisten Grünliberalen, die ich kenne, ist sie untrennbar mit der Freiheit verbunden. Aber auch in diesem Bereich ist die Grenzsetzung ein ständiges Thema. Sind Drogenabhängige krank und Alkoholiker und Raucher?
Von mir aus kann sich die FDP als das liberale Original bezeichnen (was allerdings nur ein historischer Verdienst und kein Versprechen für die Zukunft ist), aber sicher nicht als die einzig Wahren. Damit offenbart die FDP in erster Linie eine unliberale Haltung. Die Freiheit soll ja gerade dazu dienen, dass sich eine Gesellschaft gesamthaft (!) dank dem Wettbewerb unterschiedlicher Ideen weiterentwickelt. Und am Anfang jeder Entwicklung standen Minderheiten, die herrschende Meinungen in Frage stellten, wobei die konservative Mehrheit stets so reagiert hat wie jetzt die offizielle FDP: Wir brauchen das Neue nicht, wir sind gut genug.
Wenn sich also Ideen und Wertvorstellungen entwickeln, was ja eben der Zweck einer freien Gesellschaft ist, darf man natürlich auch fragen, welchen Sinn das Vermessen von Haltungen hat und wie verlässlich es ist. Ein Urteil darüber sei jedem selbst überlassen. Mir persönlich gibt’s heute zu viele «Ratings» und «Rankings». Und wenn sie das Denken ersetzen, statt nur zu ergänzen wird’s problematisch. Es kann aber auch lustig sein, wenn Kandidierende nur auf Rang 2 ihrer persönlichen Smartevote-Empfehlung landen oder wenn Freisinnige mal zähneknirschend, mal schmunzelnd feststellen, dass sie besser zu den Grünliberalen passen würden.
Nun die Freude der FDP über den Artikel in der NZZ am Sonntag sei ihr gegönnt. Die Partei hat ja sonst nicht viel zu lachen. Dass die Freisinnigen aber eine Breitseite nach der anderen in unsere Richtung abfeuern, mag zwar durch den Wahlkampf erklärbar sein, wirkt aber dennoch hilflos, ja fast peinlich. Schade, denn unter vorgehaltener Hand wird mittlerweile selbst in linken Kreisen manchmal der Wunsch geäussert, die FDP möge doch noch irgendwie gerettet werden.
Fortsetzung folgt…