Wie liberal ist das denn, liebe FDP?

Am 4. September dieses Jahres dürfen die Stadtzürcher Stimmberechtigten darüber befinden, ob die Sperrklausel bei Gemeinderatswahlen von 5 auf 2% gesenkt werden sollen.

Um was geht es? Heute darf eine Partei oder sonstige politische Gruppierung nur dann in den Gemeinderat einziehen, wenn sie anlässlich der Gemeinderatswahlen in mindestens einem städtischen Wahlkreis die so genannte 5%-Hürde nimmt.

Was sind die Konsequenzen? Diese Bestimmung führt zu einer Verfälschung des Wählerwillens, denn alle Stimmen, die auf Parteien oder Gruppierungen fallen, die diese Hürde nicht nehmen, verfallen. Beispielsweise erhielt die Grünliberale Partei 2006 mehr Stimmen in der Stadt als die Schweizer Demokraten, aber weil die Schweizer Demokraten in Schwamendingen über 5% erzielten und die GLP diese Hürde in keinem Wahlkreis nahm, zogen schliesslich die Schweizer Demokraten statt den Grünliberalen in den Gemeinderat obwohl sie gesamtstädtisch weniger Stimmen erzielten.

Nun will Jacqueline Rizzo mit ihrer Einzelinitiative diese Hürde von 5 auf 2% senken. Die GLP ist dafür (obwohl sie inzwischen im Gemeinderat vertreten ist und sich gewissermassen „schützen“ könnte mit der Aufrechterhaltung der 5%-Hürde).

Erstaunt bin ich über die FDP, die ja immer noch behauptet, sie sei liberal und trotzdem gegen die Senkung der Sperrklausel ist. Liebe FDP, es wäre wieder einmal Zeit einen Blick in eines der wichtigsten Werke des Liberalismus zu werfen: „Über die Freiheit“ von John Stuart Mill.

Aber eben, wer hat, neben dem Studium von Gemeinderatsunterlagen und Börsenberichten noch Zeit, sich mit Grundsätzlichem und Prinzipien herumzuschlagen. Deshalb hier als Service Politique für alle so genannten Liberalen aus der FDP ein paar wichtige Zitate aus diesem Buch (das ich zur Lektüre übrigens wärmstens empfehlen kann. Und keine Bange, ist mehr Essay als Buch, also selbst für gestresste Menschen ein verdaubarer Brocken):

An erster Stelle der menschlichen Freiheit steht für Mill die Glaubens- und Gewissensfreiheit, „…das eigentliche Gebiet der menschlichen Freiheit. Es umfasst als erstes das innere Feld des Bewusstseins und fordert hier Gewissensfreiheit im weitesten Sinne, …“

Untrennbar mit der Gewissensfreiheit, die für Mill zentrale Bedeutung hat, ist „die Freiheit, Meinungen in Wort oder Schrift zu vertreten, …“, denn was nützt mir Gewissensfreiheit, wenn ich meine Ideen nicht nach Aussen tragen darf.

Nun bis hierher werden mir wohl auch die FDP-Vertreter nicht widersprechen.

Sie plädieren für die Beibehaltung der 5%-Hürde mit dem Argument, dass eine Senkung zu einer weiteren Zersplitterung der Kräfte im Gemeinderat führen könnte und teilweise auch abstruse Gruppierungen mit sonderbaren Ideen den Sprung in die städtische Legislative schaffen könnten, was den Politbetrieb stören und erschweren würde. Das kann durchaus sein, ist aber gewollt respektive ein Preis, der für menschliche Freiheit zu bezahlen ist. John Stuart Mill hat auch hier die Antwort parat: „Sonderbar ist es, dass man wohl die Gültigkeit der Gründe für freie Diskussion zugesteht, sich aber dagegen wehrt, dass sie ‚auf die Spitze getrieben‘ werden.“ Denn, so Mill, „bleiben die Schranken offen, dann können wir hoffen, dass man eine bessere Wahrheit, wenn es solche gibt, finden wird, sobald der Menschengeist sie zu erfassen fähig ist.“

Offenbar ist der FDP-Geist noch nicht in der Lage, den Vorteil einer tieferen Sperrklausel zu erfassen (abgesehen davon und konsequenterweise wäre ich für eine vollständige Abschaffung solcher Hürden). Wenn die FDP diese Schranken nicht öffnen will, handelt sie also konträr der liberalen Ideen und Ideale. Schade und nicht zum ersten Mal. Besonders befremdend (und enttäuschend) ist dann noch der Umstand, dass gemäss FDP-Mitteilung die Delegierten diesen Beschluss EINSTIMMIG fassten. Keine Diskussion, keine andere Meinung, keine Gegenstimme? Wie liberal ist das denn?

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